Erstes Symposium über seltene Krankheiten am LUKS
Prof. Dr. med. Johannes Roth, Leiter des Zentrums für seltene Krankheiten am LUKS, umschrieb einleitend die Herausforderung seltener Krankheiten und Krankheiten ohne Diagnose für Betroffene und ihre Angehörigen: Lange Wege und hoher Zeitbedarf, bis eine Diagnose vorliegt, und eine meist defizitäre Betreuungsstruktur. «Wie können, sollen und wollen wir eine optimale Betreuung für Betroffene in der Zentralschweiz sicherstellen?»
Martin Knoblauch, Vizepräsident der nationalen Koordinationsplattform für seltene Krankheiten (kosek) betonte die Bedeutung von Netzwerken und interdisziplinärer Zusammenarbeit. Es sei sehr gut, dass die Zentralschweiz mit dem Zentrum am LUKS eine spezialisierte Anlaufstelle für Betroffene biete.
Jahrelanger Leidensweg und Selbstdiagnose
Roger René Müller aus Bellinzona, Betroffener und Co-Präsident der Patientenorganisation «Noi ci siamo», berichtete eindrücklich über seinen jahrelangen Leidensweg bis zur Diagnose. Seine Erkrankung hatte sich immer nur über diffuse Symptome geäussert und wurde erst aufgrund einer Ausschlussanalyse erkannt, die der ausgebildete Mathematiker anhand seiner Blutwerte selber durchgeführt hatte. Damals hatten sich allerdings bereits ernsthafte Folgeerkrankungen entwickelt. Als grosse Herausforderungen für Betroffene nannte er den oft schwierigen Zugang zu Spezialistenwissen, soziale Isolation, psychische und emotionale Belastung, krankheitsbedingten Verlust von Selbstständigkeit sowie Einschränkungen in Beruf und Karriere.
Präsentiert sich eine gewöhnliche Krankheit ungewöhnlich, ist es manchmal doch etwas anderes.
Prof. Dr. med. Christoph Henzen
Prof. Dr. Dagmar l’Allemand aus St. Gallen erläuterte den Aufbau eines Zentrums für seltene Krankheiten aus pädiatrischer Sicht und die Herausforderungen bei der Diagnose und Behandlung seltener Krankheiten im Kindesalter. Anhand von Fallbeispielen betonte sie, wie wichtig die genaue Analyse bestehender Daten und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit seien. Ärztinnen und Ärzte sollten den Eltern genau zuhören. Betroffene Familien stünden grossen Herausforderungen gegenüber und fühlten sich oft alleine und nicht ernst genommen, berichtete Manuela Stier, Gründerin des Vereins «Kinder mit seltenen Krankheiten». Wichtig seien Wissenstransfer, Vernetzung mit anderen Betroffenen und häufig auch finanzielle Unterstützung.
Detektiv-Arbeit bei der Diagnose
Die Diagnose seltener Krankheiten im Erwachsenenalter war das Thema des Vortrags von Prof. Dr. med. Christoph Henzen, zusammen mit Johannes Roth Organisator des Symposiums, sagte: «Präsentiert sich eine gewöhnliche Krankheit ungewöhnlich, ist es manchmal doch etwas anderes.» Er ermutigte junge Ärztinnen und Ärzte, dies ernst zu nehmen und Zufallsbefunden nachzugehen. Wie ein Detektiv müsse man seltsam erscheinende Befunde und Diagnosen kombinieren, «denn manchmal kommt das Hufgetrappel tatsächlich von einem Zebra». Henzen betonte, auch eine ausführliche Anamnese und genaue klinische Untersuchungen seien wichtig, um seltene Krankheiten zu identifizieren.
Prof. Dr. med. Valérie McLin aus Genf betonte die Bedeutung der Zusammenarbeit in Netzwerken am Beispiel der Swiss Rare Liver Collaboration. Die Vernetzung mit Patientenorganisationen und anderen Zentren für seltene Krankheiten sei wichtig, um eine umfassende Betreuung Betroffener zu gewährleisten – was in der kleinen Schweiz häufig einfacher sei als in grossen Ländern.
Genetische Analysen immer mit klinischen Untersuchungen kombinieren
Achtzig Prozent der seltenen Krankheiten haben eine genetische Ursache. Prof. Dr. med. Christiane Zweier vom Inselspital Bern zeigte auf, wie moderne Analysemethoden heute zur Diagnose seltener Krankheiten und damit einer gezielten Therapie sowie besseren Einschätzung der Prognosen beitragen können. Und wenn der Befund genetisch unauffällig ist? Weiterbehandeln wie bisher, weiter nach Ursachen suchen und allenfalls einige Jahre später nochmals eine genetische Abklärung durchführen, riet Zweier. Genetische Analysen müssten aber immer mit klinischen Untersuchungen kombiniert werden.
Betroffene finden und vernetzen
Die südafrikanische Investigativjournalistin Odette Schwegler berichtete als Co-Gründerin der internationalen Patientenorganisation Tin Soldiers, wie diese weltweit nach Menschen mit der seltenen Krankheit Fibrodysplasia ossificans progressiva (FOP) sucht, um sie mit geeigneten Behandlungsstrukturen zu vernetzen. Zum Abschluss des Symposiums gab es eine Schweizer Erstaufführung ihres Dokumentarfilms «The Whisper». Der Film gibt berührende Einblicke in das Leben zweier junger Frauen in Indien, die von FOP betroffen sind, und hat an verschiedenen Filmfestivals Preise gewonnen. Damit will sie ein Bewusstsein für FOP schaffen und die Stigmatisierung der Betroffenen bekämpfen.
Das Symposium zeigte, dass die Situation Betroffener mit seltenen Krankheiten oder Krankheiten oder Diagnosen in der Zentralschweiz verbessert werden kann, wenn Zugang zu einem spezialisierten Zentrum besteht, Spezialistinnen in interdisziplinären Netzwerken eng und überregional zusammenarbeiten, man sich in Patientenorganisationen austauschen und gegenseitig unterstützen kann, Ärztinnen und Ärzte genau zuhören und Betroffene ernst nehmen und schliesslich ein stärkeres öffentliches Bewusstsein für seltene Krankheiten besteht.