Gemeinsam für ein würdevolles Lebensende
Beat Müller, Sie sind Onkologe, Palliativmediziner und Co-Chefarzt am Luzerner Kantonsspital. Was sind die wesentlichen Unterschiede zwischen der Betreuung in einer Palliativabteilung im Spital und der Versorgung in einem Hospiz aus Ihrer Sicht?
Beat Müller: Wir übernehmen oft Patienten in einer sehr ausgeprägten Symptomkrise. Das bedeutet: Der Patient ist instabil. Das zieht Kreise: Die Angehörigen sind überlastet, die Betreuung kann daheim nicht mehr geleistet werden, weder von den Angehörigen noch von den involvierten Fachpersonen. Wir nehmen die Patienten auf, klären Symptome ab und evaluieren, wie wir stabilisieren und unterstützen können. Im zweiten Schritt folgt dann die Überprüfung, ob eine Rückkehr nach Hause in einem stabilisierten Zustand, mit vereinten Kräften möglich ist oder ob es eine Anschlusslösung in einer Langzeiteinrichtung braucht. Das wäre dann etwa ein Hospiz oder ein wohnortnahes Pflegezentrum.
Wie definieren Sie die Rolle eines Hospizes in der kontinuierlichen Versorgung von Krebspatienten?
Die Rolle ist bedeutungsvoll, weil sehr viele an Krebs erkrankte Menschen am Lebensende ausgesprochen spezifische Bedürfnisse haben. Insbesondere sind die Symptome im Sterbeprozess herausfordernd. Diese sind zwar behandelbar, aber es braucht einen geschützten Raum, Zeit und spezifische Kenntnisse dazu. Das ist in einem Hospiz gewährleistet. In wohnlicher Atmosphäre erfolgt rund um die Uhr eine fachkompetente Begleitung. Das wünschen sich viele Patienten für das Lebensende. Die meisten Menschen möchten allerdings weder in einem Pflegezentrum noch im Spital sterben, sondern zu Hause. Das Hospiz bietet diesbezüglich aber eine gute Alternative an. Die Verstärkung des Netzwerks durch das Hospiz stellt in diesem Sinne eine Bereicherung dar. Weil die Palliativversorgung in der häuslichen Umgebung sehr aufwändig ist, besteht die Gefahr, dass Angehörige mit den vielen Aufgaben (teils auch medizinische) erschöpfen. Palliativmedizinische Institutionen ermöglichen den Angehörigen, ihre ursprüngliche Rolle und Aufgaben besser zu wahren.
Welche Bedeutung messen Sie der Anschlusslösung, dieser Nahtstelle Hospiz Zentralschweiz, nach der Spitalbehandlung bei?
Für uns sind diese multiprofessionellen Anschlusslösungen absolut zentral. Hätten wir diese nicht zur Verfügung, müssten Patienten länger im Spital bleiben, was nicht im Interesse der Betroffenen ist. Wir realisieren im Arbeitsalltag schnell, wenn es bei den Anschlusslösungen Engpässe gibt. Die Hospitalisierungszeiten verlängern sich automatisch. Würden wir Patienten in eine ungeeignete Anschlusslösung entlassen, könnte es zur erneuten Spitaleinweisung kommen. Das ist für alle Beteiligten mit Stress verbunden.
Sie überweisen Patienten an das Hospiz. Wie gestaltet sich für Sie die Zusammenarbeit mit dem Hospiz in der Praxis?
Das hat sich rasch hervorragend eingespielt. Eine unkomplizierte Zusammenarbeit ist uns wichtig. Wir kennen die Ansprechpersonen und Aufnahmekriterien. Dazu dient der regelmässige Austausch im Rahmen des Qualitätszirkels. Man kann gewünschte Anpassungen anbringen und besprechen. Der regelmässige Austausch ist durch die Haltung «Miteinander und Füreinander Sorge tragen» geprägt.
Was sind die ausschlaggebenden Gründe für Sie, einen Patienten für die Hospizversorgung zu empfehlen, und wie treffen Sie diese Entscheidung?
Der Patientenwunsch steht an erster Stelle, doch vielfach sind medizinische Gründe ebenso wichtig: Die Entwicklung der Symptome ist dynamisch, die Symptomlinderung ausgesprochen aufwendig. Das kann bedeuten, dass man jederzeit die Verabreichungsart von Medikamenten anpassen muss (z. B. bei Erstickungsanfällen oder Blutungen). Vor diesen sogenannten Palliativ-Notfallsituationen haben Patienten und Angehörige verständlicherweise grossen Respekt. Da sind ein geschütztes Setting und die Begleitung von Fachpersonen von zentraler Bedeutung.
Wie erleben Ihre Patienten und deren Angehörige den Übergang vom Spital zum Hospiz?
Unterschiedlich. Da gibt es einerseits Menschen – Patienten und Angehörige – die optimal vorbereitet und bereits seit Längerem in palliativer Beratung sind. Sie haben sich mit dem Thema auseinandergesetzt und treten den Wechsel entspannter an. Andererseits gibt es die stark Hadernden, die sich mit der Entwicklung der Krankheit, der zunehmenden Pflegebedürftigkeit und letztlich mit dem nahenden Tod nicht so leicht abfinden können.
Welche Rolle spielen Sie als Arzt in diesem Prozess?
Ich bin ein Puzzlestück im gesamten Team. Natürlich sind wir für Patienten als Arzt sehr zentral, häufig bedingt durch die zahlreichen intensiven Beratungsgespräche, in denen Entscheide reifen und gefällt werden. Da sind wir in emotional sehr intensiven Momenten an ihrer Seite. Dadurch bemessen sie uns häufig eine wichtige Rolle. Wobei ich immer die Bedeutung des Teams unterstreiche: Die Pflege, die Psychologen, die Seelsorgenden und das ganze übrige Team sind wichtig.
Inwiefern trägt die Zusammenarbeit mit dem Hospiz dazu bei, die Lebensqualität Ihrer Patienten in ihrer letzten Lebensphase zu verbessern?
Wir verlegen Menschen in einer sehr schwierigen Lebenssituation, mit fortschreitender Erkrankung und belastenden Symptomen ins Hospiz. Zu wissen, dass sie im Hospiz fachkompetente, empathische Betreuung rund um die Uhr erhalten, ist für uns ganz entscheidend. Durch diese Betreuung wird die Lebensqualität eindeutig verbessert. Wenn sich Patienten sicher und gut betreut fühlen, können sie ihr Schicksal besser erdulden.
Ein letztes Wort von Ihrer Seite?
Es ist wichtig, dass Gesellschaft und Politik den Mehrwert und die Bedeutung der Palliative Care anerkennen und unterstützen. Öffentlichkeitsarbeit, Aus- und Weiterbildung von Fachkräften und eine nachhaltige Finanzierung dienen dazu, dass allen Mitmenschen eine palliativmedizinische Betreuung ermöglicht wird.
Quelle: Magazin der Stiftung Hospiz Zentralschweiz vom Juli 2024
Text: Yvonne Ineichen – wortsprudel