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Krebs: Woran stirbt man wirklich?

Der Tod durch Krebs ist oft von Ängsten und Missverständnissen begleitet. Viele Menschen und ihre Angehörigen fürchten sich vor Schmerzen und einem langen Leiden. Doch wie stirbt man tatsächlich an Krebs? KD Dr. med. Beat Müller, Leiter Palliativmedizin und Co-Chefarzt Onkologie am Luzerner Kantonsspital (LUKS), gibt Einblicke in die Realität des Sterbeprozesses und erklärt, wie die Palliativmedizin Betroffene unterstützen kann.
8. Oktober 2024
Lesezeit: 4 Minuten
KD Dr. med. Beat Müller.
KD Dr. med. Beat Müller

Was sind die häufigsten Missverständnisse oder Ängste, die Patient/-innen und ihre Angehörigen haben?

Dr. med. Beat Müller: Eine der grössten Ängste ist, dass der Sterbeprozess bei Krebs mit starken Schmerzen verbunden ist oder dass man erstickt. Viele Menschen sorgen sich auch, dass sie stark pflegebedürftig werden und nicht mehr zu Hause sein können.

Sind diese Sorgen berechtigt?

Müller: Es gibt keine einheitliche «Sterbemethode» bei Krebs. Der Verlauf hängt stark von der Art des Krebses, den betroffenen Organen und den Begleiterkrankungen ab. Es kann sein, dass jemand letztlich gar nicht am Krebs selbst stirbt, sondern an Begleiterkrankungen wie Herz-Kreislauf-Problemen, insbesondere bei älteren Menschen.

Wenn man an Krebs stirbt, woran genau stirbt man dann?

Müller: Das hängt stark davon ab, welche Organe betroffen sind. Wenn etwa Leber oder Nieren (inklusive ableitende Harnwege) von Tumoren oder Metastasen befallen sind, kommt es zum Organversagen. Diese lebenswichtigen Organe verlieren nach und nach ihre Funktionsfähigkeit. Der Sterbeprozess bei Leber-oder Nierenversagen ist oft eher ruhig und kann gut von der Palliativmedizin begleitet werden. Wenn die Lungen betroffen sind, kann es beispielsweise zu Flüssigkeitsansammlungen auf dem Brustfell kommen. Dies führt zu Atemnot und Husten. Der Lungenbefall erhöht auch das Risiko für Infektionen. In solchen Fällen besprechen wir mit den Patient/-innen und Angehörigen, ob eine weitere Behandlung mit Antibiotika sinnvoll ist, oder ob es besser wäre, eine Lungenentzündung als natürlichen Verlauf der Krankheit zuzulassen.

Warum versagt ein Organ, wenn es von Krebs betroffen ist?

Müller: Ein Organ versagt, weil die Tumorzellen das gesunde Gewebe nach und nach verdrängen. Diese Krebszellen übernehmen nicht die Funktion des betroffenen Organs, sondern blockieren dessen Arbeitsfähigkeit, bis es seine lebenswichtigen Aufgaben nicht mehr erfüllen kann.

Gibt es auch andere Mechanismen, wie Tumoren den Körper beeinflussen?

Müller: Ja, Tumoren können auch die Blutgerinnung beeinflussen, was zu einer erhöhten Thrombose- und Embolieneigung führt. Es kann beispielsweise zu einer Lungenembolie kommen. Auf der anderen Seite kann es durch eine gestörte Blutgerinnung zu inneren Blutungen kommen. Auch hierbei muss sorgfältig abgewogen werden, ob noch Massnahmen zur Blutstillung ergriffen werden sollten, oder ob es besser ist, den natürlichen Verlauf der Krankheit zuzulassen. Über teilweise komplizierte Mechanismen führen fortschreitende Krebserkrankungen zudem zu Erschöpfung, Appetitlosigkeit und auch Fieber.

Was kann die Palliative Pflege tun, um Patient/-innen in dieser Phase zu unterstützen?

Müller: Information und Aufklärung sind unsere wichtigsten Strategien. Da der Sterbeprozess mit grosser Ungewissheit verbunden ist, ist es ganz natürlich, davor Angst zu haben. Indem wir die Betroffenen eng einbeziehen und transparent mit ihnen kommunizieren, können wir viele dieser Ängste nehmen – oft ist das schon eine grosse Erleichterung. Zudem bieten wir eine gute Symptomkontrolle und arbeiten in einem multiprofessionellen Team aus Ärzteschaft, Pflegekräften, Psycholog/-innen, Seelsorgenden, Physiotherapeut/-innen und Ernährungsberatenden. Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige können selbst entscheiden, was ihnen in dieser Phase hilft.

Haben manche Krebsbetroffene trotzdem starke Schmerzen und was kann die Palliativpflege in solchen Fällen tun?

Müller: Knochenmetastasen können sehr schmerzhaft sein oder auch andere Metastasen und Tumore, die auf die Nervenbahnen drücken. Die moderne Schmerztherapie bietet dann viele Möglichkeiten – von einfachen Tabletten über Infusionen, bis hin zu Injektionen in den Rückenmarkskanal. Auch nicht-medikamentöse Massnahmen wie Bestrahlung oder Physiotherapie können helfen. Wichtig ist, dass wir Schmerzen schnell und individuell behandeln.

Gibt es einen «guten Tod» bei Krebs?

Müller: Es gibt kein standardisiertes Sterben bei Krebs, und wir können den Sterbeprozess nicht vollständig steuern. Palliative Care zielt darauf ab, gemeinsam mit den Betroffenen den natürlichen Krankheitsverlauf zu betrachten und passende Reaktionen auf mögliche Komplikationen zu besprechen. Dazu gehört auch, Therapiebegrenzungen und den bewussten Verzicht auf bestimmte Massnahmen offen zu thematisieren

Auch wenn es keinen standardisierten Sterbeprozess gibt, wie kann man sich diesen allgemein vorstellen?

Müller: In der letzten Phase des Lebens werden die Betroffenen zunehmend müder und ziehen sich zurück. Das Bedürfnis nach Nahrung und Flüssigkeit nimmt ab und oft stellen sie das Essen und Trinken ganz ein. Auch die Atmung wird flacher und unregelmässiger und weitere Organfunktionen wie z.B. die Urin-Produktion werden allmählich schwächer. Die Palliativpflege spielt in dieser Phase eine entscheidende Rolle, indem sie Symptome wie Unruhe oder Atemnot lindert und sicherstellt, dass der Sterbeprozess so ruhig und schmerzarm wie möglich verläuft. Ziel ist es, die Betroffenen und ihre Angehörigen gut zu begleiten und ihnen ein friedliches, würdiges Abschiednehmen zu ermöglichen.

Quelle: Leben mit Krebs

Text: Sandra Huber

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