Laufen kann auf Magen schlagen
Geht das Blut in die Muskeln, fehlt es im Darm - Laufsportler leiden sodann öfter an Krämpfen. Bild: Getty
Mag sein, dass es sich bei Winston Churchills legendären Worten «No Sports» nur um eine Legende, um «Fake News» also, handelt. Denn Sir Winston war in seiner Jugend durchaus sportlich und starb trotz Zigarren und Whisky erst mit 91 Jahren. Tatsache aber ist: Intensiver Sport stählt nicht nur, sondern fordert den Körper auch heraus. Wenig bekannt ist, dass sich Gesundheitsprobleme durch sportliche Aktivitäten keinesfalls auf Muskeln und Gelenke, Herz und Atmung beschränken: Spitzenleistungen können auch Magen und Darm in Mitleidenschaft ziehen, berichten Schweizer Mediziner.
Drei ausgewiesene Kenner dieser Problematik haben für das Fachjournal «Schweizerisches Medizin Forum» das aktuelle Wissen über dieses bisher stark vernachlässigte Gebiet der Sportmedizin zusammengetragen: Erstautor Dominic Staudenmann ist selbst aktiver Sportler (Surfen, Tennis und Bergsteigen), Orthopäde Géard Gremion (Lausanne) ist Chefmediziner des Swiss Olympic Medical Center (SOMC), und Gastroenterologe Dominique Criblez ist Chefarzt ad personam am Luzerner Kantonsspital.
Gemäss ihren Recherchen sind es vor allem Läufer, Radfahrer und andere Ausdauersportler, denen Übelkeit, Reflux und Durchfall die Freude am Sport vermiesen. Doch auch Teamsportler, Turner oder Gewichtheber unterschätzten oft die durch Training und Wettkampf bedingten Risiken für die Verdauungsorgane.
Zusammenbruch in Rio schreibt Medizingeschichte
Als Beispiel für die riskanten Folgen sportlicher Belastung führen die Schweizer Wissenschaftler den berühmt gewordenen Fall eines Sportlers bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio an: Yohann Diniz, Weltrekordhalter in «50 Kilometer Gehen», war dort der Favorit in seiner Disziplin. Nach zehn Kilometern überlegener Führung nahm das Unglück seinen Lauf: Diniz litt unter Magenkrämpfen, brach mehrfach zusammen und konnte nach 30 Kilometern den Stuhlgang nicht mehr kontrollieren. Unter Aufbietung letzter Kräfte erreichte er mit zitternden und von blutigem Stuhl verschmierten Beinen als achter Geher das Ziel.
Ein derartiges Geschehen ist keineswegs ungewöhnlich. Bis zu 90 Prozent der Ausdauersportler leiden unter Magen-Darm-Beschwerden, schreiben Dominic Staudenmann und Kollegen im Schweizer Fachblatt. Mit der Länge der zurückzulegenden Distanzen wächst auch das Risiko von unangenehmen Folgen für die Verdauungsorgane. Frauen sind dabei öfter betroffen als Männer.
Darmstörungen wie Blähungen, Bauchkrämpfe, Stuhldrang und Durchfall treten vor allem bei Laufsportlern auf. Im Englischen wird das Problem als «Runner's Trots» oder Runner's Diarrhea» bezeichnet und ist durchaus nicht selten: «Bei maximalen Leistungen steigt die Rate bis auf 71 Prozent», so die Fachleute.
Hauptverantwortlich für den undichten Läuferdarm dürfte die veränderte Durchblutung von Magen und Darm während des Sports sein. Die Anstrengung benötigt eine Aktivierung des sympathischen Nervensystems, was wiederum eine bessere Durchblutung von Muskeln, Herz, Lungen und Haut bewirkt. Die dorthin verlagerten Blutmengen fehlen gleichzeitig in den restlichen Bereichen des Organismus: «Bereits bei Belastungsintensitäten von 70 Prozent des maximalen Sauerstoffverbrauchs sinkt die Blutversorgung des Gastrointestinaltraktes um 60 bis 70 Prozent», berichten die Experten.
Je länger die Laufdistanz ist, desto häufiger treten die Symptome in Erscheinung.
Drei Schweizer Mediziner in: «Schweiz. Medizin Forum»
Reflux und Sodbrennen als Folge von Ausdauersport
Der so entstandene Mangel an Sauerstoff setzt dann eine ganze Kaskade von Reaktionen in Gang: Die schlecht durchblutete Schleimhaut schränkt die Aufnahme von Nährstoffen ein und wird durchlässiger für die Giftstoffe (Endotoxine) von Bakterien. Diese gelangen in die Blutgefässe und alarmieren die Abwehrkräfte des Immunsystems. Die Folge sind Bauchweh, Übelkeit und Erbrechen.
Die Minderdurchblutung oder der gar vollständige Ausfall der Versorgung mit Sauerstoff führt zu weiteren Konsequenzen: Es entstehen löchrige Gewebeschäden, Zellen sterben ab und es kommt zu Blutungen. Die akuten Entzündungen der Darmoberfläche - im Englischen «Runner's Colitis» - gehen meist mit Durchfällen einher.
Mit dem Ausdauersport sind oft auch Refluxprobleme verbunden. Gemeint sind saures Aufstossen, ein brennendes Gefühl hinter dem Brustbein oder im Rachen (Magenbrennen oder Sodbrennen) und der Rückfluss von saurem Mageninhalt. Eine häufige Folge sind auch Hustenreiz und Heiserkeit. «Refluxbeschwerden sind die häufigsten oberen Magen-Darm-Symptome bei Athleten», erläutern die Mediziner. «Bis zu 45 Prozent der Läufer waren mindestens schon einmal mit Refluxbeschwerden konfrontiert. Je höher die Belastung und je länger die Laufdistanz, desto häufiger treten die Symptome auf.»
Übelkeit und Erbrechen auch in Ruhephasen
Die ungünstigere Blutversorgung des Magen-Darm-Trakts bremst die Beweglichkeit von Magen und Zwölffingerdarm. Eine schnelle Entleerung des Essens wird dadurch behindert. Rauchen, Kaffee, Alkohol und stark gewürzte Speisen können die Beschwerden fördern, auch bestimmte Medikamente wie Kalziumantagonisten, Betablocker oder Anticholinergika sind oft am Problem beteiligt. Besonders begünstigt werden Reflux und Sodbrennen durch fett- oder kalorienreiches Essen, betonen die Autoren. «Genauso kann ein stark gefüllter Magen beim Sport die Symptome intensivieren. Daher sollte man zwei Stunden vor einer ausgeprägten körperlichen Aktivität nicht mehr viel essen.»
Das gilt auch für Sportler, die während der Ausübung ihrer Disziplin unter Übelkeit zu leiden haben oder sogar erbrechen müssen. Auch diese Symptome gehören zu den häufigsten Begleiterscheinungen einer körperlichen Überlastung: Bis zu 26 Prozent aller Athleten haben sie schon einmal erlebt. Im Gegensatz zum Reflux sind diese Beschwerden nicht nur auf die Zeit von Training und Wettkampf beschränkt, sondern plagen die Sportlerinnen oder Sportler häufig auch in den Ruhephasen.
Ein Tipp der Sportmediziner: Athleten, die zu Übelkeit und Erbrechen neigen, sollten auf die Einnahme von sogenannten nichtsteroidalen Schmerzmitteln (NSAR) verzichten. Solche Präparate erhöhen das Risiko von Magen-Darm-Beschwerden um das Fünf- bis Sechsfache.
Seitenstechen tritt meist rechts auf
Fast jeder hat sie schon erlebt, niemand kennt ihre genaue Ursache: Die akuten Schmerzen während einer Anstrengung, anders ausgedrückt das Seitenstechen, sind ein Phänomen, das allen Sportlern mal widerfährt. Seitenstechen tritt in zwei Drittel der Fälle rechts auf. «Vor allem Laufund Gehsportarten wie Jogging, Marathon, Triathlon, Bergsteigen, Berglauf und Walking sind davon betroffen, aber auch Fussball oder Tennis sind nicht aus genommen. Häufig berichten auch Pferdereiter oder Mountainbiker über Seitenstechen, wenn sie auf holprigem Terrain unterwegs sind», schreiben Dominique Criblez und seine Kollegen in der Studie.
Die Entstehung des Seitenstechens ist nach wie vor ungeklärt, aus verständlichen Gründen: So schnell die Schmerzen kommen, so schnell verschwinden sie auch wieder. Als mögliche Ursache werden unter den Sportmedizinern eine unzureichende Durchblutung und Sauerstoffversorgung des Zwerchfelles und der Muskulatur zwischen den Rippen diskutiert. Zur Vorbeugung der durch Sport bedingten Beschwerden empfehlen die drei Experten, die Trainings- und Ernährungspläne durch einen erfahrenen Sportmediziner oder Ernährungsberater zusammenstellen zu lassen.
Gesundheitstipps für Ausdauersportler
- Neue Getränke sollten immer während der Trainings und nie an einem Wettbewerb zum ersten Mal verwendet werden.
- Kein Kaffee oder koffeinhaltige Getränke vor dem Sport oder dem Wettkampf.
- Ballaststoffe und grosse Mahlzeiten sollten vor dem Wettkampf gemieden werden.
- Ebenfalls wichtig: ein rechtzeitiger Gang zur Toilette vor dem Wettkampf.
Quelle: Zentralschweiz am Sonntag vom 28.10.2018