Schnelle medizinische Hilfe und Glück halfen ihm nach Hirnschlag
«Ich hatte Glück, dass ich unterwegs war. Zuhause hätte mich so schnell niemand gefunden», blickt Stefan Suter auf den Tag zurück. Er wohnt allein. Auf Baustellen aber ist er oft. Er arbeitet im Tiefbau, ist auch Landwirt, produziert im Sommer Siloballen für Bauern und fährt im Winter Schneepflug. Ein Allrounder, viel in Bewegung. Sein Schrittzähler bleibt meist erst bei 20'000 pro Tag stehen.
Der Vorfall ist ihm noch sehr präsent: Er liegt linksseitig gelähmt am Boden. Mit der rechten Hand kann er noch die Krankenkassen-Karte aus seinem Portemonnaie holen. Für den Rettungsdienst ist wegen Verdachts auf Schlaganfall (Hirnschlag) schnell klar: Keine Zeit verlieren und ins Stroke Center des LUKS fahren. Suters Glück: Kollegen und Vorarbeiter haben alle sofort richtig reagiert.
Mit Lähmungserscheinungen ein Wettlauf um die Zeit
Suter kommt mit Lähmungserscheinungen in Luzern an, spricht stockend und verlangsamt – verwaschen, sagen die Ärzte. Typische Symptome eines Hirnschlags. So wie Doppeltsehen, akute Gleichgewichtsstörungen, Gefühlsstörungen im Gesicht, an Armen oder Beinen oder mehrere gleichzeitig. Typischerweise kommt ein Schlaganfall wie aus heiterem Himmel, sagt Dr. med. Manuel Bolognese, Leiter Stroke Center und neurologischer Notfalldienst. Dann beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. «Pro 30 Minuten Verzögerung steigt das Risiko für bleibende Invalidität und Pflegebedürftigkeit um 10 Prozent.» Liefert ein verstopftes Gehirngefäss keinen Sauerstoff mehr, «so sterben nach wenigen Minuten erste Hirnzellen ab.»
Pro 30 Minuten Verzögerung steigt das Risiko für bleibende Invalidität und Pflegebedürftigkeit um 10 Prozent.
Dr. med. Manuel Bolognese, Leiter Stroke Center und neurologischer Notfalldienst
75 Minuten nach Symptombeginn ist er in guten Händen des eingespielten interdisziplinären und interprofessionellen Teams. Das Stroke Center – das Zentralschweizer Kompetenzzentrum für Hirnschlagpatienten – ist auf Schlaganfälle spezialisiert mit der Erfahrung von über 600 Behandlungen pro Jahr. Die Spezialisten arbeiten Hand in Hand mit der Neurorehabilitation. Deren Oberärztin Dr. med. Noortje Maaijwee erzählt, der Anfangsverdacht, ein grosses Gefäss im Gehirn sei verstopft, habe sich beim Patienten bewahrheitet. Erst wird er mit Blutverdünner behandelt, gleich danach wird in einem 30-minütigen Katheter-Eingriff ein grosses Gerinnsel entfernt.
Mit gutem Essen kommt der Appetit
Nach drei Tagen zur Beobachtung im Stroke Center kommt Stefan Suter in die Rehabilitation. In der weiteren Behandlung sind Ergo-, Physio- und Sprachtherapeuten von Beginn weg involviert. «Alle Beteiligten wissen immer, was zu tun ist und beantworten all meine Fragen kompetent und freundlich», sagt Stefan Suter. «Ich fühle mich wie zu Hause.» Mit der Zeit wächst auch der Appetit. «Das gute Essen erleichtert meinen Genesungsprozess.» In der Neurorehabilitation arbeiten Fachleute mit ihm an Sprache und Bewegungsapparat. Bei grandioser Aussicht auf die Stadt. Auch die Aussicht auf die Heimreise motiviert ihn bei unserem Besuch kurz vor Austritt Mitte August. «Meine Kollegen freuen sich, wieder mit mir in den Ausgang gehen zu können.»
Ab der dritten Woche wird sein Zustand markant besser, schneller und stetiger als es beim Eintritt absehbar war. Wird wie bei ihm ein schwerer Verlauf erwartet, geht vorsorglich eine Anmeldung an ein Pflegeheim. «Das ist wegen Wartelisten nicht einfach, abmelden ist dann viel einfacher», sagt Noortje Maaijwee. Stefan Suter aber braucht keinen Platz. Er spricht schnell störungsfrei, sein linker Arm und sein linkes Bein machen bald gut mit. «Mit seinen 52 Jahren hatte er bessere Voraussetzungen für eine gute Erholung als Leute in hohem Alter.»
Physio- (Mobilität) und Ergotherapie (alltagsbezogene Bewegungen) unterstützen ihn sowie kognitives Training. Im Gepäck bei der Abreise aus dem Spital nach gut 100 Tagen hat er Übungen, die er zu Hause machen kann. Es folgen nun weitere Bewegungstherapien durch Fachleute vor Ort um weitere Selbstständigkeit im Alltag zu gewinnen. Er hofft, im Frühling wieder voll Hand anlegen zu können.
Die schwierige Suche nach der Ursache
Warum ich, fragen sich viele in ähnlicher Situation. Bei Stefan Suter könnte ein seit Geburt bestehendes kleines Loch im Herz mitverantwortlich sein, sagt Dr. med. Noortje Maaijwee. «Es muss aber nicht die Ursache sein. Mit so einem Loch lebt rund ein Viertel der Bevölkerung und man kann damit 100 Jahre alt werden.» Das Loch beeinträchtigte ihn nie, sagt er. Und sein Herz sei topfit. In der Regel tritt ein Hirnschlag unverhofft auf, es kann laut Dr. med. Manuel Bolognese jedoch Anzeichen geben: Streifungen mit Symptomen wie beim Schlaganfall, etwa eine kurze vorhangartige Sehstörung.
Auf anderen Baustellen hätte es schlimmer enden können. Was, wenn ich auf einem Gerüst gestanden wäre?
Stefan Suter, Patient
Sie sind eine Folge von Gefässeinengungen der Schlagadern. Oft verschwinden sie nach kurzer Zeit wieder, können aber eine milde Form eines späteren schweren Schlaganfalls sein. «Auch solche Streifungen gehören unmittelbar abgeklärt», sagt Bolognese. Bei plötzlichen Seh-, Sprach-, Empfindungs- und Gleichgewichtsstörungen, Schwäche oder Lähmungen und Schwindel soll sofort die Nummer 144 gerufen wurden. Das wird auch Stefan Suter seinem Umfeld raten, wenn er von sich erzählt: «Lieber einmal zu viel anrufen als nicht.»
Leistungsauftrag für komplexe Behandlung von Hirnschlägen
Im Stroke Center am LUKS erhöhen die gebündelte Kompetenz in Behandlung und Diagnostik sowie die frühzeitige Einleitung einer langfristig angelegten Neurorehabilitation die Chancen auf ein gutes Ergebnis. Das Stroke Center ist von der Swiss Federation of Clinical Neuro-Societies (SFCNS) zertifiziert und hat seit Februar 2018 einen Leistungsauftrag in hochspezialisierter Medizin (HSM) für Komplexe Behandlung von Hirnschlägen.
Nach einem ischämischen Schlaganfall (verstopftes Blutgefäss im Gehirn) erholen sich schweizweit zirka 70 Prozent aller Betroffenen so gut, dass sie nach drei Monaten nicht mehr oder nur noch leicht beeinträchtigt und im Alltag selbstständig sind. Am LUKS sind das gar 80 Prozent. Stefan Suter ist ein gutes Beispiel dafür.
Ihm ging im Spital viel durch den Kopf. «Auf anderen Baustellen hätte es schlimmer enden können. Was, wenn ich auf einem Gerüst gestanden wäre?» Er werde künftig diesem Risiko vermehrt Beachtung schenken, um es zu minimieren. Ein Schlaganfall tritt meist erst im fortgeschrittenen Alter auf. Aber es kann Jeden und Jede treffen, vom Kind bis zum Erwachsenen. Und dann zählt jede einzelne Minute.