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«Tragbare Sensoren können die Medizin revolutionieren»

Blutentnahmen aus dem Finger oder der Vene sind unangenehm – besonders für Kinder. Tragbare Sensoren (Wearables) könnten in Zukunft solche Tests ersetzen und in der Medizin eine viel grössere Rolle spielen. Prof. Dr. med. Nicole Ritz, Chefärztin Pädiatrie am Kinderspital Zentralschweiz (KidZ), beleuchtet in der renommierten Fachzeitschrift Nature deren grosses Potenzial und kündigt eigene Forschungsprojekte am KidZ an.
16. Januar 2025
Lesezeit: 4 Minuten
Nicole Ritz
Prof. Dr. med. Nicole Ritz, Chefärztin Pädiatrie am Kinderspital Zentralschweiz

Für Diabetikerinnen und Diabetiker ist es eine grosse Erleichterung: Ein kleiner Sensor am Oberarm misst den Blutzucker (Glukose) schmerzfrei und kontinuierlich durch die Haut. Dieses Wearable kann den unangenehmen Bluttest mittels eines Stichs in die Fingerkuppe ersetzen. Prof. Dr. med. Nicole Ritz, Chefärztin Pädiatrie am KidZ am Luzerner Kantonsspital (LUKS), und führende Experten der ETH Zürich und aus den USA haben in einem Artikel in der renommierten Fachzeitschrift Nature den aktuellen Wissensstand und das Potenzial innovativer Wearables in der Medizin beschrieben. Im Interview fasst sie die Inhalte des Artikels zusammen.

Worin besteht das grosse Potenzial von Wearables in der Medizin?

Bisher messen Wearables vor allem Werte wie Schritte, Puls oder Sauerstoffsättigung. Chemische Biomarker sind noch weniger etabliert mit Ausnahme der Glukosemessungen. Wollen wir chemische Biomarker z.B. Entzündungsmarker messen, müssen dafür heute Blutproben im Labor untersucht werden. Neue Wearables erlauben uns, auch zahlreiche andere Biomarker wie Elektrolyte, Hormone oder Entzündungsmarker zu messen. Diese Messungen können auf der Haut, im Schweiss, in der Atemluft, im Speichel oder in der Gewebeflüssigkeit zwischen den Zellen der Haut erfolgen. Solche Messungen sind zudem in deutlich höherer Frequenz und in Echtzeit möglich. Wir können zum Beispiel Blutzuckermessungen statt nur einmal täglich in stündlichen Intervallen und ambulant zu Hause durchführen.

Die Herzrhythmus-Messung über Armbänder hat das Screening auf Vorhofflimmern bereits revolutioniert. Wearables der nächsten Generation werden uns neue Möglichkeiten im Screening und in der Frühdiagnostik von Krankheiten, bei der Beurteilung von Therapien und von Krankheitsverläufen über lange Zeit bieten.

Welche Rolle spielen die Digitalisierung und künstliche Intelligenz (KI)in den Spitälern?


KI hat die Entwicklung von Technologien zur Datenanalyse, Entscheidungsfindung und damit der Wearables beschleunigt. Softwareanwendungen und Algorithmen des maschinellen Lernens ermöglichen eine Datenauswertung und Ergebnisvorhersage. Durch die kontinuierlichen Messungen kommen grosse Mengen an Daten zusammen, die nur mit maschineller Hilfe ausgewertet werden können.

Wenn künftig Wearables auf der Haut, im Schweiss oder in der Atemluft Biomarker bestimmen, können wir die Zeit bis zur Diagnose verkürzen, was etwa bei Blutvergiftung lebensrettend sein kann.

Am LUKS haben wir mit unserem komplett digitalen Klinikinformationssystem LUKiS des Herstellers Epic optimale Voraussetzungen, um zusätzliche Wearables in der Diagnostik und Behandlung unserer Patientinnen und Patienten einzusetzen. Dank der Vernetzung mit anderen Epic-Spitälern und der engen Zusammenarbeit mit der ETH Zürich und Prof. John Rogers von der Northwestern University (USA), einem führenden Experten für Wearables, sind wir am Puls der Forschung. Wir werden am Kinderspital Zentralschweiz in diesem Jahr selbst ein eigenes Forschungsprojekt zu Wearables starten.

Wie können Wearables in der Kindermedizin eingesetzt werden? 

Wenn wir bei Kindern dank Wearables künftig Blutentnahmen oder andere unangenehme Eingriffe vermeiden können, wird dies ein ganz grosser Vorteil sein. Zum einen ist beispielsweise die Blutentnahme aus Venen bei Säuglingen und Kindern aufgrund der kleinen und empfindlichen Venen schwierig – zum andern verstehen kleine Kinder oft nicht, warum der Pieks nötig ist, und wehren sich. Wenn künftig Wearables auf der Haut, im Schweiss oder in der Atemluft Biomarker bestimmen, können wir die Zeit bis zur Diagnose verkürzen, was zum Beispiel bei Blutvergiftung (Sepsis) lebensrettend sein kann. Wearables werden uns auch ermöglichen, die Wirkung von Arzneimitteln bei Kindern aller Altersgruppen – vom Neugeborenen bis zum Teenager – besser zu verstehen.

Aktuell funktionieren Wearables bei Kindern noch nicht so gut wie bei Erwachsenen. Studien zeigten, dass die Körpertemperatur bei Kindern unterschätzt wurde, einige Wearables bei Säuglingen Hautreizungen verursachen oder besonders Kinder unter 5 Jahren die Wearables nicht tragen wollten. Es gilt noch diverse Herausforderungen zu lösen, aber das Potenzial in der Kindermedizin ist enorm. Ich bin überzeugt, dass dank Wearables in einigen Jahren die Kinder bei uns am KidZ gemäss unserem Leitbild «messbar. besser. aufgehoben.» sein werden.

Wann werden die neuen Wearables im medizinischen Alltag angewendet werden?

Es gibt bereits erfolgreiche Pilotversuche, etwa zur Messung von Entzündungsmarkern im Schweiss. Vor einem breiten Einsatz müssen die korrekte Funktion und der klinische Nutzen der Wearables zuerst nachgewiesen werden. Sie müssen für Patientinnen und Patienten komfortabel sein und ihr klinischer Mehrwert muss für verschiedene Indikationen belegt sein. Nur so können wir etwa erreichen, dass der Einsatz von Krankenkassen erstattet wird. Das alles braucht Zeit. Aber es ist ein unglaublich spannendes Feld, das sich rasant entwickelt und grosses Potenzial hat, die Gesundheitsversorgung zu revolutionieren.

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