Wo Kinder ein Luftdessert serviert erhalten
Vielleicht träumt Nael gerade von einem Stegosaurus und Tyrannosaurus, und wie sie in grossen Zügen Wasser aus dem Sempachersee schlürfen. Oder davon wie Kindergärtner-Dinos und Opa-Dinos miteinander Seifenblasen zerplatzen. Wobei: Der Fünfjährige hatte Dr. Wolle mit der roten Nase ja vor drei Stunden erklärt, dass es ganz sicher keine Kindergärtner-Dinos gebe. «Dinosaurier gehen doch nicht zur Schule!» Nael und Dr. Wolle lachten. In dem Moment war Naels Angst vor der bevorstehenden Operation wie weggeblasen.
Jetzt warten seine Mutter Sandra Santos und Traumdoktor Dr. Wolle im Aufwachraum der Kindestagesklinik Luzern darauf, dass Nael von der Narkose aufwacht. Es ist kurz vor Mittag, die 1,5 stündige Operation soll gut verlaufen sein. Ein Chirurg hat Naels schwulstige Narbe am Hinterkopf aufgeschnitten und schön zusammengenäht. Der Bub kam mit einem Loch im Kopf zur Welt. Danach wuchs die Wunde zu, doch die Narbe juckte und entzündete sich regelmässig. Dies soll nun ein Ende haben. Als Nael ein paar Minuten später seine noch schweren Lider öffnet, freut er sich, als er seine Mama und seinen neuen Freund Dr. Wolle am Bettrand sieht. «Hoi Nael», begrüsst dieser den Buben mit sanfter Stimme. «Sag, wovon hast du geträumt? Von Dinosauriern?» Sein kleiner Patient lächelt.
Dr. Wolle macht Mut
Naels Morgen beginnt an diesem Tag früher als sonst: Um 7.15 Uhr schon läuft er mit seiner Mutter an der Hand in die Tagesklinik des Kinderspitals am Luzerner Kantonsspital im ersten Stock. Der Bub wirkt nervös. Statt mit seinen Freunden im Kindergarten, verbringt er diesen Mittwochmorgen im Spital.
Teamleiterin Eliane Schärli nimmt Nael und Sandra Santos in Empfang. Sie erklärt ihnen den Ablauf und beginnt mit den ersten Vorbereitungen: Sie misst Naels Grösse und Gewicht und fragt nach, ob er auch wirklich nichts gegessen habe. Nael muss für die Operation nüchtern sein. An ihrer Seite steht der lustig aussehende Dr. Wolle, Traumdoktor der Stiftung Theodora. «Hoi, ich bi dr Wulle!», stellt sich der Mann im Ringel-Look und wildem Haarschopf vor. Nael lächelt scheu.
Traumdoktor Dr. Wolle unterstützt Pflegende bei ihrer Arbeit, in dem er jene Kinder betreut, die an diesem Morgen operiert werden. Er lacht mit ihnen, improvisiert, zaubert und schenkt ihnen etwas Ablenkung. Diese Begleitung von Kindern vor und nach Operationen durch Traumdoktoren gibt es erst seit wenigen Jahren. Sie ist ein Erfolg. Das Bedürfnis seitens Spitäler und Eltern ist gross. Studien zeigen, dass diese Art von Begleitung die seelische Belastung für ein Kind markant reduzieren. Helsana als Partnerin der Stiftung Theodora unterstützt diese wertvolle Arbeit der Traumdoktoren.
Der unerwartete Dinosaurier-Fan
Plötzlich zaubert Dr. Wolle einen kleinen Dinosaurier aus seiner Kitteltasche. Und gleich nochmals einen. Nael macht grosse Augen und sagt aufgeregt: «Das ist ein Stegosaurus!» Der Zufall will es, dass Nael ein grosser Dino-Fan ist. «Wulle» hatte keine Ahnung davon. Nael ist sichtlich beeindruckt und neugierig zu sehen, was dieser erstaunliche Doktor noch alles kann. Dr. Wolle bläst mit einer Handpumpe Ballone auf und bastelt daraus einen violetten Hund, den Nael für seine Schwester mit nach Hause nehmen will. Aus anderen Ballonen dreht der Traumdoktor einen Basketballkorb, den Nael mit einem Tigerballon treffen soll. Es entwickelt sich ein Spiel zwischen den beiden und Naels Mama. Nael und seine Mutter liefern sich einen lustigen Wettkampf, wobei es bewusst nicht ganz so fair zu und her geht.
Nael gewinnt den Match überlegen. Die Stimmung ist wie auf einem Pausenplatz. Der Bub ist kaum wiederzuerkennen. Sandra Santos lächelt und sagt: «Ich hatte keinen so lustigen Morgen erwartet.» Ihr Sohn kriegt von Dr. Wolle eine Medaille um den Hals gehängt und lächelt stolz.
Ich hatte keinen so lustigen Morgen erwartet.
Nael
Zur Aufgabe eines Traumdoktors gehört es auch zu merken, wann es Zeit ist, den kleinen Patienten und ihren Eltern etwas Raum zu geben. Sie sollen für sich sein oder in Ruhe mit der Pflege etwas besprechen können. Dr. Wolle zieht sich deshalb immer wieder zurück. Nael schmiegt sich an sein Mami und will umarmt werden. Er sucht Geborgenheit, denn trotz all der Ablenkung und dem Spass: Nervös ist Nael noch immer etwas.
Gut auf einander abgestimmt
Bei der Operationsbegleitung durch Traumdoktoren geht es nicht um eine Show, sondern darum, auf die Bedürfnisse und Stimmungen des jeweiligen Patienten einzugehen – und die Vorbereitungen der Pflege gekonnt einzubauen. «Die Pflege hat ihre Abläufe, die störe ich nicht», sagt Dr. Wolle. Es fällt auf, wie gut Traumdoktor und Pflegepersonal aufeinander abgestimmt sind. Dr. Wolle und Eliane Schärli integrieren gekonnt gewisse Schritte ins Spiel, die der Vorbereitung der Operation dienen.
Dann wird es Zeit, dass Nael ein Beruhigungsmittel einnimmt. Dr. Wolle stimmt den Fünfjährigen darauf ein. Nael hat sich umgezogen und trägt ein Nachthemd des Spitals. Der Traumdoktor holt seine Seifenblasenmaschine hervor, daraus erklingt Musik. Nael beginnt die Seifenblasen mit dem nackten Fuss zu zerplatzen und staunt, dass die Blasen durch einen Trick plötzlich ganz bleiben. Nebenbei erzählt ihm «Wulle» vom Sirup, den Nael gleich trinken werde. Mit diesem Sirup würden die beiden anstossen.
Wenig später erscheint die Pflegefachfrau HF mit zwei identischen Plastikbecherchen. Nael erhält den Becher, der Saft und das Medikament enthält, Dr. Wolle jenen nur mit Saft. Die beiden stossen damit an und sprechen über die warme Luftmatratze, das Nael vor dem Operationssaal erwartet. Und über Dinosaurierträume natürlich. Sie zählen auf, welche Dinos darin vorkommen könnten. Nach ein paar Minuten sagt der Bub dann: «Jetzt bin ich grad scho müed.»
Wir beobachten, dass Kinder ruhig und zufrieden aufwachen, wenn sie von Traumdoktoren begleitet werden.
Eliane Schärli, Teamleiterin Kinderspital
Operationsbegleitungen wie sie in Luzern gemacht werden, führt die Stiftung Theodora wöchentlich in sieben Schweizer Spitälern durch. Traumdoktor Wolle liebt diese Arbeit. »Es ist schön, wenn die Pflege und wir uns so gut ergänzen.» Eliane Schärli und ihre Kolleginnen und Kollegen vom Luzerner Kantonsspital schätzen ihre Traumdoktoren in den bunten Kitteln. Sie erleichtern ihnen den hektischen Arbeitsalltag, da die Traumdoktoren etwa Wartezeiten gekonnt überbrücken können. «Vor allem haben sie ein sehr feines Gespür für jedes Kind», sagt Schärli. «Wir beobachten, dass Kinder ruhig und zufrieden aufwachen, wenn sie von Traumdoktoren begleitet werden.» Von Eltern erhalten sie zahlreiche positive Rückmeldungen.
Narkose mit Fruchtgeschmack
Auch Anästhesist Thomas Hurni freut sich über jeden Tag, an dem ein Traumdoktor auf der Station anwesend ist und die Kinder vor und nach einem operativen Eingriff begleitet. Dr. Wolle rollt zusammen mit einer Pflegefachfrau das Bett, in dem Nael liegt, aus der Station. Vor dem Bettenlift verabschiedet sich Nael von seiner Mama. Er wirkt entspannt. Dann geht es einen Stock abwärts Richtung Operationssaal. Dort angekommen, integriert der Traumdoktor den Anästhesisten Hurni sofort ins Spiel und die Fantasiewelt, in der sich Nael und Dr. Wolle befinden. Thomas Hurni staunt nicht schlecht, als er hört, dass er einen Dinosaurierexperten vor sich hat. Die beiden Männer transferieren den Buben auf die warme Luftmatratze, die es wirklich gibt, und verabreichen ihm eine Narkose mit Fruchtgeschmack – ein sogenanntes Luftdessert. Nael atmet tief ein und driftet ab. Die beiden wünschen ihm schöne Dinosaurierträume. Und schon entgleitet Nael sanft in den Schlaf.
Nael und die Traumdoktoren wurden im September vom Kundenmagazin der Krankenversicherung Helsana begleitet. Die Operationsbegleitung mit Traumdoktoren ist eines der Angebote der Stiftung Theodora.
«Wir können kleinere Kinder in eine magische Welt mitnehmen»
Traumdoktoren begleiten Kinder bis zum Operationssaal. Dort spielen die Anästhesisten eine tragende Rolle. Oberarzt Thomas Hurni erzählt.
Wie erleben Sie ein Kind kurz vor der Operation?
Es befindet sich wegen der Traumdoktoren bereits in einer magischen Welt. Wir von der Anästhesie versuchen die Interaktion mit dem Traumdoktor und dem Kind aufzunehmen. Der Traumdoktor hilft mit, das Kind auf eine warme Luftmatratze zu transferieren. Dann schliessen wir es an Überwachungsgeräte an. Davon kriegt das Kind meist nicht viel mit.
Sie lenken das Kind ab bis zur Narkose?
Ja, danach begleiten wir das Kind in den Schlaf. Wir lassen es unter einer Maske einschlafen. Oft geben sich Dr. Wolle und ich davor als Glacéverkäufer aus und bieten dem Kind ein Luftdessert an.
Ein Luftdessert?
Wir können Masken mit einem Duft versehen. Dann riecht es nach Vanille oder Schokolade. Doch der Beerenduft ist der eigentliche Renner. Es handelt sich um den Grundduft, den unsere Masken tragen. Hin und wieder singen wir auch.
Sie singen vor der Operation ein Schlaflied?
Ja. Also in der Regel singt es der Traumdoktor. Doktor Pfnüsel, der auch oft Operationsbegleitungen macht, hat meist seine Ukulele dabei und singt. Weil ich auch gerne singe, begleite ich ihn mit der zweiten Stimme.
Wie schön!
Ja, es ist schön, wenn man so auf die Kinder eingehen kann. Manchmal muss ich mich aber etwas zurücknehmen. Die Anästhesisten in Ausbildung sollen nicht glauben, dass es bei uns nur lustig zu und her geht. Ich muss ihnen zeigen, dass wir andere Kernkompetenzen haben.
Ihnen scheint die Operationsbegleitung zu gefallen.
Wir können kleinere Kinder so in eine magische Welt mitnehmen. Bei dieser Begleitung ist besonders schön, dass der Kontakt bereits im Spitalzimmer entsteht. Kommen Kind und Traumdoktor bei mir an, wirken sie wie ein eingeschworenes Team. Das Kind wird von jemandem begleitet, den es in sein Herz geschlossen hat.
Erleben Sie Ihre Patienten durch die Begleitung entspannter?
Die Operationsbegleitung von Traumdoktoren ist nur positiv. Schön ist, dass es nach dem Aufwachen weitergeht. Die Traumdoktoren begleiten das Kind vom Aufwachraum zurück in ihr Zimmer. Das Kind ist dadurch noch immer im vertrauten Umfeld. So schliesst sich der Kreis.
Worauf legen Sie besonderen Wert?
Wichtig sind für mich zwei Dinge: Ein Kind darf keine Angst und Schmerzen haben, die es nicht einordnen kann. Zudem darf das Operieren von Kindern nie zur Routine werden. Immerhin vertrauen uns Eltern mit ihrem Kind ihr Allerwichtigstes an.