Zusammenhang zwischen Pestiziden und Parkinson – jetzt fordern Politiker Massnahmen
Zuerst fiel ihr das Zittern der Hände auf. Dann, dass sie, die früher kaum hatte stillsitzen können, manchmal plötzlich müde war. Auch da wollte sie sich noch nicht mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass sie krank sein könnte. Erst nachdem sie kurz nacheinander zwei Mal mit dem Velo gestürzt war, drängte ihre Familie sie zu einem Untersuch. Die Diagnose: Parkinson.
Damit befindet sich Erika Weber (Name geändert) in bester Gesellschaft: Sieben Millionen Menschen weltweit leiden an Parkinson – doppelt so viele wie noch vor 25 Jahren. Forscher gehen davon aus, dass es bis im Jahr 2040 mehr als 14 Millionen sein werden.
Wie viele Menschen in der Schweiz betroffen sind, ist nicht klar: Weil keine Meldepflicht besteht, hat das Bundesamt für Statistik keine Zahlen dazu. Die Non-Profit-Organisation Parkinson Schweiz spricht von 15 000 Betroffenen – eine Schätzung, die sich an Statistiken aus dem Ausland orientiert. Klar ist auf jeden Fall: Auch in der Schweiz nimmt die Zahl der Parkinson-Patienten zu.
Erika Weber war 77, als sie die Diagnose erhielt. Damit gehört sie zu den achtzig Prozent der Personen, die über 60 Jahre alt sind, wenn sich das Parkinson bemerkbar macht. Weil es immer mehr ältere Menschen gibt, liegt es daher auf der Hand, dass auch Parkinson häufiger wird. Doch das kann nicht der einzige Grund sein. Bemerkenswert ist, dass Parkinson stärker zunimmt als beispielsweise Alzheimer, obwohl auch das eine typische Alterskrankheit ist.
Die Ursache lässt sich nicht eindeutig benennen. Doch Forscher gehen davon aus, dass Umweltfaktoren eine wichtige Rolle spielen. Besonders stark im Fokus stehen Pflanzenschutzmittel. Bereits im Jahr 2000 haben Wissenschafter eine Verbindung zwischen Pestiziden und Parkinson aufgezeigt.
Seither wurden unzählige Studien zum Thema erstellt. Im Jahr 2011 beispielsweise zeigten Forscher auf, dass Bewohner des Central Valley in Kalifornien drei Mal häufiger an Parkinson erkranken, wenn sie in der Nähe von Feldern arbeiten, auf denen regelmässig Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden.
2012 gelang es Forschern aus Dresden, den Mechanismus zu entschlüsseln, mit dem das Insektenvernichtungsmittel Rotenon Parkinson auslöst. Und in Frankreich wurde erst vergangenen Monat eine Studie publiziert, die aufzeigt, dass nicht nur Winzer, die Pestizide einsetzen, eher an Parkinson erkranken. Auch andere Personen, die in einem stark von Weinbau beanspruchten Gebiet wohnen, haben ein um 10 Prozent höheres Risiko.
Als Berufskrankheit anerkannt
In Frankreich ist der Zusammenhang zwischen Pestiziden und Parkinson sogar staatlich anerkannt: Seit 2012 gilt Parkinson bei Landwirten als Berufskrankheit. In der Schweiz ist man diesbezüglich zurückhaltender.
Zwar anerkennt auch der Unfallversicherer Suva, dass, wer Pestiziden ausgesetzt ist, ein erhöhtes Parkinson-Risiko haben kann, wie Mediensprecher Isik Serkan sagt. Doch: «Ob das Risiko so hoch ist, dass es die gesetzlichen Vorgaben zur Anerkennung einer Berufskrankheit erfüllt, muss im Einzelfall beurteilt werden.»
Dass Parkinson in Frankreich als Berufskrankheit gilt, findet der Schweizer Parkinsonexperte Stefan Bohlhalter «bemerkenswert». In der Schweiz sei das Thema in der Forschung kaum belegt. Dennoch sei der Zusammenhang zwischen Pestiziden und Parkinson «ziemlich klar» – wenn auch die Kausalität nicht erwiesen sei, sagt Bohlhalter, der Chefarzt am Neurozentrum im Luzerner Kantonsspital ist und den Fachlichen Beirat von Parkinson Schweiz leitet. Für ihn steht fest: «Man muss das Thema ernst nehmen.»
Auch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen weist auf die «signifikanten Zusammenhänge zwischen der Exposition mit Pflanzenschutzmitteln und der Erkrankung mit Parkinson» hin – wobei kein kausaler Zusammenhang erstellt sei. Bisher, sagt Mediensprecherin Nathalie Rochat, seien mit Rotenon und Paraquat erst zwei bestimmte Pestizide identifiziert worden, die ursächlich an der Entstehung von Parkinson beteiligt sein können.
Beide Wirkstoffe sind in der Schweiz mittlerweile nicht mehr zugelassen. In allen anderen Studien seien Assoziationen zwischen Pflanzenschutzmitteln allgemein und Parkinson gefunden worden, sagt Rochat. Hier seien weitere Untersuchungen nötig.
Dass die Datenlage verbessert werden muss, hat auch der Bundesrat erkannt. Im Rahmen seines im September 2017 verabschiedeten Aktionsplans Pflanzenschutzmittel plant er unter anderem eine Literaturstudie, um die Rolle von Pestiziden als Auslöser von chronischen Erkrankungen zu untersuchen.
Im Aktionsplan wird erwähnt, dass epidemiologische Studien aus dem Ausland Hinweise darauf geben, dass die langfristige Anwendung von Pflanzenschutzmitteln zu Parkinson führt. Das generelle Ziel des Plans: Die Risiken sollen halbiert, die Anwendungen weiter reduziert und Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz gefördert werden.
Politiker fordern Massnahmen
Das sei «grundsätzlich erfreulich», sagt GLP-Nationalrätin Tiana Angelina Moser, welche die Erstellung des Aktionsplans vor sechs Jahren mit einem Postulat angestossen hat. Dieser sei aber in Bezug auf die Fristen und die Finanzierung noch ungenügend. Weil der Pestizideinsatz in der Schweiz sehr gross sei, brauche es weitere Massnahmen, so Moser: «Zahlreiche Studien zeigen auf, dass Grenzwerte nicht eingehalten werden.»
Auch Urs Scheuss, Stellvertretender Generalsekretär der Grünen, nennt den Aktionsplan «zahnlos und zu wenig verbindlich». Für ihn steht fest: «Der Einsatz von Pestiziden müsste generell zurückgefahren werden.» Zwar finde eine Auseinandersetzung mit dem Thema statt, doch drehe sie sich bisher vor allem um einzelne Stoffe.
So sei es ein Erfolg, dass sich der Bundesrat letzte Woche zumindest bereit erklärt habe, den Ausstieg aus der Verwendung von Glyphosat zu prüfen. Besser wären jedoch, so Scheuss, eine Lenkungsabgabe oder ein generelles Verbot der risikobehafteten Stoffe. Denn wie die biologische Landwirtschaft zeige, gebe es durchaus Alternativen zu Pestiziden.
Parkinson: Nicht heilbar, aber behandelbar
Parkinson ist eine neurodegenerative Erkrankung, bei der vor allem dopaminproduzierende Nervenzellen im Mittelhirn absterben. Der daraus folgende Dopaminmangel führt zu motorischen Störungen. Daneben sterben in anderen Hirnregionen Nervenzellen ab, was Schmerzen, Schlafstörungen, psychische Symptome und vegetative Störungen auslösen kann.
Obwohl die Krankheit bereits 1817 erstmals beschrieben und seither intensiv erforscht wurde, ist nach wie vor nicht genau bekannt, weshalb Parkinson entsteht. Klar ist: Bei 5 bis 10 Prozent der Betroffenen wird Parkinson vererbt. Daneben spielen bei der nichtvererbten Form genetische Risikofaktoren eine Rolle – sowie höchst wahrscheinlich Umweltfaktoren.
Die Krankheit beginnt meist mit Zittern, Verspannungen, Müdigkeit und Beschwerden beim Gehen und entwickelt sich über viele Jahre. Parkinson ist nicht heilbar, aber mit diversen Therapien behandelbar, sodass die meisten Patienten in den ersten Jahren ein praktisch normales Leben führen können. Die Neurodegeneration wird aber nicht gebremst, möglich ist nur eine Linderung der Symptome.
Autor: Bettina Hamilton-Irvine
Quelle: Aargauer Zeitung online vom 20.05.2018